Es regnete. Stark. Und es war dunkel. Nicht, weil die Wolkendecke, die sich von Horizont zu Horizont erstreckte, vollkommen schwarz war, sondern, weil es schon fast Mitternacht war. Aber wahrscheinlich waren auch die Wolken nicht ganz unschuldig. Und eigentlich war es mir egal. Jedem an meiner Stelle wäre es egal gewesen.
Ich hatte meine dunkelblaue Sporthose angezogen, darüber ein weißes Sportshirt mit einem kleinen V-Ausschnitt, welches von einer schwarzen, schmucklosen Sportjacke nahezu vollkommen überdeckt wurde. Mein Handy, ein altes Modell mit Tasten, war so fest an mein Ohr gepresst, dass es wehtat. Ich hörte das Rauschen des Regens. Das Geräusch dominierte, klang ein wenig, wie ein rauschender Fernseher. Und leise, kaum hörbar, die Laufbewegung.
Ich sah aus dem Fenster und fand blitzschnell den jungen Mann, kaum 25 Jahre alt, welcher durch den strömenden Regen auf die Lagerhalle Nr. 3 zuging.
Der Hafenbezirk bestand praktisch nur aus Lagerhallen und einem einzigen, hohen Bürogebäude, aus dessen Fenster im obersten Stock ich die Szene beobachtete.
Seit einem Monat stand dieser Bezirk schon leer, sodass außer uns nur noch der Schreiber der Drohbriefe hier war. Und er meinte es verdammt ernst.
„Du bist ja so still. Kein Anschnauzen, keine Beleidigungen, kein Flehen mehr?“
Die Stimme riss mich aus meinen Gedanken. Mein Blick fing meinen Partner wieder ein. Noch fünf Meter bis zum Ziel. Ich war dankbar, dass er ab und an seine Taschenlampe anmachte, da ich ihn sonst aus den Augen verloren hätte. Schließlich war der Kerl dank seines dunklen Anzugs, allerdings ohne Krawatte, in der Dunkelheit fast nicht zu sehen. Nur die Silhouette war mühevoll erkennbar.
Stimmt. Die letzten fünf Minuten hatte ich den Gesprächspartner, der an der Leitung hing, mit allem, was mir eingefallen war, beschimpft. Mittlerweile war meine Wut so gut wie abgeklungen und Angst und Verzweiflung hatten sich fieserweise in den Vordergrund gedrängt. Aber zeigen würde ich das der rauen, tiefen, aber wohlklingenden Stimme nicht. Da hatte er sich geschnitten.
„Mir sind nur die Worte ausgegangen. Ich durchforste das Wörterbuch gerade nach was neuem, keine Sorge.“, erwiderte ich kühl und gelassen.
Am anderen Ende der Leitung ertönte ein Lachen. Dann Stille.
„Kleine, du bist richtig niedlich.“
Ich knurrte durch zusammengepresste Zähne. Ich war sicher NICHT niedlich!
Mein Partner betrat die Lagerhalle. Ich hörte das Knallen des zufallenden Tores. Und nun... konnte ich nichts mehr machen. Ich fühlte mich ausgeschlossen, unwohl zu wissen, dass mein Partner mit dem Verbrecher dort alleine war. Und es war klar, dass dort eine Falle war.
„Herzlich willkommen in meinem bescheidenen Heim.“, ertönte eine neue Stimme, weiter entfernt.
Sie klang ein wenig verrückt... aber naja. Es war mir, wie so vieles, egal.
„Guten Tag. Ich hoffe doch sehr, ich störe nicht. Aber... ich fühle mich leider dazu gezwungen, ihrem Handeln ein Ende zu bereiten.“
Diese Stimme war es, die mir noch die Hoffnung gab, dass alles gut werden würde. Mein Partner schaffte das schon, auf jeden Fall.
„Mach dir keine Sorgen, Kleiner. Das sind IMMER die letzten Worte des Helden, der kurz darauf LEIDER in die Hände des Bösen fällt und verliert.“
Ich fauchte.
„Hej, schick dein Fauchen bitte an den Kerl da, nicht an mich.“
„Kannst es ihm ausrichten.“
„Ich soll dir von meiner Partnerin ausrichten, dass sie dich anfaucht.“
Und schon wieder ein Lachen. Nicht das des Partners. Nein, denn das Lachen klang nicht hämisch, geheimnisvoll oder gemein. Es war ein herzliches Lachen. Ich fragte mich in dem Moment, ob die zwei dort das Lachen nicht eigentlich tauschen sollten. Sollte nicht der Böse in den Filmen immer so gemein und hinterhältig lachen, wie es mein Partner tat? Vielleicht... aber ich war mir nicht sicher.
„Ach je. Ich glaube, die Kleine kann richtig süß sein, meinst du nicht auch? Wie sie unbedingt mit dir in Verbindung bleiben will, um alles zu erfahren, nur, weil sie eine menschliche Regung zeigt und starr vor Angst ist bei dem Gedanken, sich mir in den Weg zu stellen.“
Nun entglitt mir ein Laut, der wie das gequälte Jaulen eines Hundes klang.
„Hej, hör nicht auf den... es wird alles gut. Das verspreche ich dir.“
Ich nickte, wohl wissend, dass es nichts brachte. Mein Partner sah mich ja nicht.
„Ja,“, flüsterte ich, „ja. Alles wird gut. Ganz bestimmt.“
Wieder ertönte das herzliche Lachen.
„Ach nein, wie niedlich. Du weißt, dass du aus dieser Halle nicht lebend rauskommst. Sieh dich mal an. Du hast ja schon die Trauerkleidung angezogen. Scheinbar hast du das mit dem Methan ernst genommen.“
„Natürlich.“
Die raue Stimme klang, als wäre etwas im Mund. Wie ein Zigarette oder sowas. Ich konnte nicht anders, ich musste lächeln. Das war die einzige Sache, die ich ihm nie hatte abgewöhnen können. Er rauchte noch immer.
„Du kannst ja nichtmal ein so einfaches Versprechen halten, wie du es eben gegeben hast. Nichts wird gut, du wirst hier in die Luft gehen.“
„Doch, natürlich. Ich weiß. Und das ist gut für sie, denn dann wird sie nicht mehr in Gefahr sein. Mein Job ist viel zu anstrengend für ein Mädchen wie sie.“
„Ach, halt die Klappe.“, zischte ich.
Und dann... dann wäre wohl jede andere an meiner Stelle aus dem Fenster gesprungen, hätte den Sturz wundersamerweise überlebt. Anschließend wäre sie in die Halle gerannt, hätte ihren Partner rausgeholt und alles dann in die Luft gejagt, den Jungen mit dem eigenen Körper schützend. Aber was tat ich? Ich stand wie gelähmt am Fenster, ich hörte, wie mein Partner sich bewegte, brach in ein kurzes, hysterisches Lachen aus, welches aber nur bis zu einer Sekunde nach dem Klicken des Feuerzeugs andauerte. Die Halle explodierte, ich ließ mich auf den Boden fallen, um vor der Druckwelle geschützt zu sein und starrte dann, als sich alles beruhigt hatte, wieder aus dem Fenster. Die Lagerhalle war nicht mehr. Stattdessen war dort nun ein riesiges Feuer, die Wolkendecke war rot und der Regen vermochte die Flammen nicht zu ersticken. Irgendwo, weit entfernt, ertönten die Sirenen. Feuerwehr. Polizei. Notwagen.
„Zu spät.“, flüsterte ich.
„Es ist zu spät. ES IST ZU SPÄT!!!“
Und damit brach ich in Tränen aus, meine Blockade, mein Schock, alles trat in den Hintergrund, nur die Erkenntnis, eine wichtige Person, meinen Erzfeind, verloren zu haben, an mehr konnte ich nicht denken. Ich weinte, ich heulte, ich schrie. Meine Tränen fielen auf den kalten Steinboden, in ihnen spiegelte sich das Feuer, welches dort unten brannte, wieder. Es war das Feuer in meinen Tränen.