Eine kurze Geschichte über einen Reisenden und ein Noktuska. Auch wenn ich anmerken muss, dass es nicht sehr viel mit diesem zu tun hat.
Spoiler:
Meine federnden Schritte wurden im Sand gedämpft. Ich zog den weißen Mantel fester um meine Schultern. Ein leises Schnaufen drang aus meiner Kehle. Die goldene Scheibe am wolkenlosen Himmel brannte erbarmungslos auf mich herab. Die Hitze füllte meinen Körper aus. Es fühlte sich an, als würden meine Knochen schmelzen wollen. Ich stoppte. Langsam drehte ich mich um und das weiße Tuch, welches ich mir um den Kopf gebunden hatte, flatterte im Wind, während ein paar feine Sandkörner mein Gesicht streiften. Meine blauen Augen blickten noch einmal zurück. Zerstörte, graue Gebäude, Dreck, verfaultes Holz und Schutt. Das war mein Leben. Ich hang nicht an ihm. Doch ich wusste, dass sie daran hing. Ich ballte meine schmutzige Hand zur Faust zusammen. Ich würde jetzt keinen Rückzieher machen. Es war keine Reise für mich, sondern für sie. Ich drehte mich wieder dem Sandmeer zu. Ich hatte ihr versprochen, dass ich wieder kommen würde. Nichts würde mich nun mehr aufhalten. Ich nickte, dann, mit festen Schritten, betrat ich die unerbittliche Wüste. Unwissend, dass sie mein leises Grab werden würde.
Ich keuchte schwer. Meine fleischfarbene Zunge war trocken. Meine schneeweißen Lippen ausgedörrt. Meine Lider hangen wie schwere eiserne Vorhänge über meinen Augen. Ich war unfähig sie zu heben, doch sie eröffneten mir nur einen kleinen Spalt der gnadenlosen Welt vor mir. Große, gelbliche Sandberge erhoben sich an meinen Seiten und ein paar Körnchen rieselten herab. Meine weißen Gewänder wehten im leichten Wind. Ich spürte, wie meine Kehle in Flammen aufging. Meine zitternde Hand langte an meinen Hals und ich umpackte ihn. "Hör auf..", flüsterte ich mit abbrechender, schwacher Stimme. Wenn sie mich jetzt nur sehen könnte. Sie würde mein kantiges Gesicht mit ihren sanften, bleichen Händen fassen und mich mit ihren großen, grünen Seelenspiegel anblicken. Sie würde ihre Lippen öffnen und leise Worte mit engelsgleicher Stimme flüstern. Sie würde mir sagen, dass ich nicht aufgeben solle. Und ich würde lachen, dann würde ich weinen und sie fragen, wann alles enden würde. Ich würde sie fragen, was mit mir los sei, dass ich schon mit meinem Hals sprechen wollte. Dass ich ihm befehlen wollte, aufzuhören. Ich lachte. Es war ein schwaches, kratziges Lachen. Es klang widerwärtig. Ich war so dumm. Ich würde hier sterben. Wie konnte ich auch erwarten, ohne Wasser weit zu kommen? Eine Silhouette erschien in meinem Augenwinkel. Ich drehte den schweren, wirrdenkenden Kopf. Was war das? Ich drückte meine müden Füße in den Leib einer Düne. Ich setzte auf die Silhouette zu. Bildete ich sie mir ein? Ließ mich die erdrückende Hitze des Feuerballs am Himmel nun schon denken, ich würde eine Oase sehen? Mit grünen Palmen und tiefblauen Seen? Mit Vögeln, die von einer besseren Zeit sangen und Tiere, die spielten, wie die kleinen Kinder aus dem Dorf? Ich erstarrte. Es war keine Einbildung gewesen, doch es war auch keine Oase. Es war ein stacheliges Gewächs mit dicken Ästen und grünlicher Farbe. Es sah beinahe aus, wie ein Männlein. Ich wusste aus Erzählungen, dass diese Pflanzen durstlöschende Flüssigkeiten enthielten. Ich streckte die gebrechlichen Hände nach einem der dicken Äste aus. Ich umschloss ihn mit meinen Fingern, während die dünnen, nadelartigen Stacheln mir das Fleisch aufrissen und mein Lebenssaft den schönen Sand rot färben ließen. Doch ich spürte keinen Schmerz. Meine Augen waren starr auf das Gewächs gerichtet, als wäre ich besessen. Ich konnte meine Iriden nicht abwenden. Mit einem lauten Knacken brach ich den Ast ab und der seltsam rotschimmernde Saft schien mir förmlich zu zu winken. Ich tauchte die kraftlosen Hände in die Brühe und führte sie zu meinem Mund. Ich öffnete die schmalen Lippen und ließ den fleischigen Saft in meinem Mund verschwinden. Ich verschlang ihn förmlich, wie ein hungriger Wüstenhund. Er schmeckte scheußlich. Doch dies war mir egal. Nach einiger Zeit erhob ich mich wieder. Die starren Gelenke rebellierten laut. Mein ganzer Körper schrie. Wie schwach ich wohl war? Mein trüber Blick wanderte suchend umher. Keuchend setzte ich einen Fuß vor den anderen. Ich musste weiter. Ich ließ die seltsame Pflanze hinter mir. Während ich mich durch den unendlichen, gelben Sand kämpfte, war es mir plötzlich, als hätte ich einen wirr scheinenden Schrei gehört. Er klang, als hätte irgendwer sich den Schmerz aus dem Leib rufen müssen. Ich erschauderte und meine Haut kribbelte unangenehm. Ich wandte meinen hämmernden Schädel herum und sah von weitem das stachelige Gewächs. Komisch. Von hier sah es beinahe so aus, als hätte es ein Gesicht. Eine hässliche Fratze, die vor Schmerz verzerrt war. Ein seltsames Gefühl befiel mich. Schuldgefühle. Ich hatte der Pflanze immerhin einen Arm ausgerissen und diesen ausgeleert. Ich klopfte mir gegen den Schädel. Was dachte ich denn da? Es war nur irgendein Wüstengewächs. Soetwas konnte weder schreien, noch Schmerz empfinden. Da war ich mir sicher.
Keuchend lehnte ich mich an die kalte Felswand. Ich verengte angestrengt meine Augen zu Schlitzen. Verzweifelt versuchte ich etwas zu erkennen. Doch der Wind war zu stark. Mein weißes Gewand flatterte wild umher, als wollte es sich losreißen und den Sandsturm begleiten. Ich seufzte erschöpft. Warum musste die Natur meine Hilfe suchende Hand immer ablehnen? Was hatte ich getan? Tränen stachen mir in die Augen. Sie fühlten sich an wie Nadeln. Ich umschlang meine matten Beine und vergrub meinen hässlichen Kopf in den Armen. Ich wollte sie doch nur retten. Ich hatte ihr doch gesagt, sie solle durchhalten, bis ich wiederkäme. Alles und jeder schien mich jedoch aufhalten zu wollen, wie sollte ich da jemals zu ihr zurückkehren? Meine Hände wanderten zu meinem Hals und ich löste den Behälter, welcher mit dünnen Fäden meine Kehle umfasste. Meine blauen Augen betrachteten das schlecht verarbeitete Ledergefäß. Ich schüttelte es. Es plätscherte leicht. Ein bisschen des Saftes der Pflanze schien noch übrig zu sein. Erschöpft drehte ich den Verschluss und führte das Gefäß an meinen Mund, ehe ich mit einem kräftigen Schluck alles leerte. Das war es. Ich legte den schweren Schädel in den knochigen Nacken und streckte meine zerbrechlichen Arme aus. Ich betrachtete die dunkle Höhlendecke. Das waren meine letzte Vorräte. Wenn ich es jetzt nicht fand, würde ich sterben. Mein Blick wanderte zur Seite. Der Sandsturm schien sich gelegt zu haben, oder? Er war schwächer, oder? Fragen über Fragen. Keine Antwort. Ich rammte meine gelben Zähne in meine vertrocknete Unterlippe. Ich musste weiter. Schnaufend erhob ich mich und mit wackeligen Schritten verließ ich die Kühle der Höhle. Der starke Wind und unendliche Sandströme schlugen mir entgegen, trübten meine Sicht und ließen mich jede verbliebende Hoffnung verlieren. Ich zog das weiße Tuch tiefer in mein Gesicht und schloss den Mund, dann stemmte ich die Füße in den wirbelnden Sand. Wann hatte ich denn je Hoffnung gehabt? Nie. Ich lebte doch nicht für mich. Ich hatte doch auch nicht aus Eigennutz diese höllische Wüste betreten. Ich tat das alles für sie. Und deswegen würde ich suchen und wandern, bis ich es fand. Ich würde zurückkehren, ihr mit meinen staubigen Fingern durch das lange, schwarze Haar streichen und sie anlächeln.
Ich blickte der untergehenden Sonne entgegen. Ich stellte mir vor, wie sie mir schadenfroh lächelnd zuwinkte und mir den Tod wünschte. Ich knirschte mit meinen abgebrochenen Zähnen. Diesen Gefallen würde ich dem brennenden Ball nicht machen. Während der fad schimmernde Mond am schwarzen Nachthimmel hinaufwanderte, da fühlte ich die Müdigkeit, wie sie mich übermannte und mir mit himmlischer Stimme zuflüsterte, mich doch in das feine Sandbett zu legen und die schweren Lider nun endgütlig zu schließen. Die Versuchung, die mich befiehl, war groß und wollte mich einknicken lassen. Ich stoppte. Die Kälte des schwarzen Meeres am Himmel umschlang mich, wie eine Schlange. Ich fröstelte und rieb mir die starren Arme. Der Sand würde noch warm sein. Wenigstens ein kleines Nickerchen konnte ich doch machen, oder? Ich sank auf die Knie und ließ mich in das Bett aus feinkörnigem Dreck fallen. Ich breitete die blassen Arme aus und schloss die eisernen Vorhänge. Sofort brach der Schlaf über mich herein.
Ich hielt ihre zarte Hand und biss mir auf die Lippe, während ein nie versiegender Quell aus Trauer aus meinen Seelenspiegeln floss. Sie lächelte und zog mich zu ihr heran. Sie drückte ihre schwachen Lippen auf meine. "Ich liebe dich. Du musst das nicht tun", sagte sie mit säuselnder Stimme. Ich blickte sie verständnislos an. Sie lag im Sterben und dann sagte sie so etwas? Warum? "Du wirst sehen, ich bringe dir das Wasser, das du brauchst", meine blauen Iriden starrten sie fest an, doch mein Bild verschwomm stetig durch die Tränen, die ich nicht halten konnte. "Die Wüste wird dich töten. Tu es nicht", ihre Augen sahen mich traurig an und es war, als würde ihre Besorgnis mein Herz erwärmen und bewegen wollen. Doch ich schüttelte den Kopf und löste meine Hand. Dann richtete ich mich neben ihrem Bett auf, ich sah an die zerstörte Wand, ehe ich noch einmal meinen dickköpfigen Schädel schüttelte und mich abwandte. "Geh nicht... Bleib bei mir." Ich drehte mich noch einmal um. "Ich komme wieder, ich verspreche es dir." Ein schwaches Lächeln wanderte über ihr bleiches Gesicht, ehe sie die Augen schloss.
Ich öffnete meine Augen. Ich starrte in ein Gesicht. Eine schaurige grüne Fratze mit schwarzen, leeren Höhlen im schmalen Schädel schien mich anzustarren. Es sah aus wie ein Männchen, wenn man den ganzen Körper betrachtete. Ein zahnloses Grinsen zierte den stacheligen Kopf. Ihm fehlte ein Arm. Ich wollte schreien, doch ich spürte, dass meine Kraft geschwunden war. Ich konnte mich nicht mehr bewegen. Mein Bild schien zu flackern. Würde ich so sterben? Ich schloss die Augen, ehe ich großen Schmerz spürte. Ich verzog mein Gesicht. Dann wurde alles schwarz.
Ich hatte mein Versprechen nicht gebrochen. Ich war zu ihr zurückgekehrt.